Der Notfalleinsatz beim Plötzlichen Säuglingstod umfasst Reanimationsmaßnahmen und/oder Todesfeststellung sowie die Erstbetreuung der betroffenen Familie. Wie diese Erstbetreuung im Einzelnen gestaltet wird, hat wesentlichen Einfluss auf die spätere Bewältigung des Verlustes. Sie nimmt eine Schlüsselrolle in der familiären Trauerbewältigung ein. Im Folgenden sind Vorschläge zur Unterstützung der Familien in der Akutsituation zusammengestellt. Sie stützen sich auf Erfahrungen und Erkenntnisse aus der Beratungsarbeit mit betroffenen Eltern und hinterbliebenen Geschwistern. Auf den derzeitigen Forschungsstand zu den psychosozialen Folgen des Plötzlichen Säuglingstodes wird Bezug genommen.
Der Plötzliche Säuglingstod (Sudden Infant Death, SID; früher: SID-Syndrome) ist eines der schwierigen Probleme, mit dem Ärztinnen und Ärzte heute konfrontiert werden. Der plötzliche Tod eines zuvor anscheinend völlig gesunden Babys ruft Betroffenheit und Irritation hervor (7, 10). Aber auch der Kontakt zu den Familien wirft nicht selten Probleme auf. Laut Erhebungen unter Ärztinnen und Ärzten wird vor allem die Kontaktaufnahme und das erste Gespräch mit den Eltern nach dem Tod ihres Kindes als sehr belastend empfunden (20, 39). Auch unter Rettungssanitätern und -assistenten zählt der Notfalleinsatz Plötzlicher Säuglingstod und der Kontakt zu den Eltern und hinterbliebenen Geschwistern zu den schwierigen Seiten ihres Berufes (18, 25).
Allen am Notfalleinsatz Beteiligten ist zwar bewusst, dass die betroffene Familie
besondere Zuwendung benötigt und die Bereitschaft, auf die Familie einzugehen, ist bei den meisten sehr
hoch. Die Umsetzung dieses helfenden Impulses gelingt in der Praxis aber oft nicht zufriedenstellend. Eine
wesentliche Rolle spielt hierbei, dass bisher zu wenig bekannt ist, welche Verhaltensweisen und Angebote für
die Familie in der Akutsituation sinnvoll und hilfreich sind.
Die nachfolgenden Vorschläge zur Unterstützung (siehe auch Textkasten) wurden in Kooperation mit der Elternselbsthilfeorganisation GEPS (Gesellschaft zur Erforschung des Plötzlichen Säuglingstodes e.V.) und den
Mitgliedern ihres Wissenschaftlichen Beirats entwickelt. Sie sind als Orientierung zu verstehen und erheben
nicht den Anspruch auf Vollständigkeit.
Typische Auffindsituationen
Ein offensichtlich gesunder Säugling wird schlafen gelegt. Vielleicht hat er einen leichten Schnupfen oder andere minimale Krankheitssymptome, die bei Kindern dieses Alters nichts Ungewöhnliches sind. Wenn das nächste Mal nach ihm gesehen wird - manchmal Minuten, manchmal Stunden später, ist er tot. Oft liegt er in Bauchlage unter der Bettdecke mit dem Gesicht flach auf der Unterlage (Gesichtslage), manchmal auch unter der Zudecke am Fuß- oder Kopfende seines Bettes (15, 27). Häufig ist er naßgeschwitzt (16, 36), gelegentlich findet man Erbrochenes auf dem Bettzeug oder auch weißlichen oder blutig tingierten Schaum im Bereich der Nasenöffnungen (hämorrhagisches Lungenödem [28]).
Teilnahme der Eltern
Ist eine Reanimation noch indiziert, ist es für die spätere Trauerverarbeitung ausgesprochen wichtig, die Eltern nicht auszugrenzen (12). Ihnen sollte angeboten werden, bei der Reanimation im Raum zu bleiben, oder sie sollten die Möglichkeit haben, die Reanimation indirekt - zum Beispiel durch eine nur angelehnte Tür - zu verfolgen (21, 31). Weisen die Kinder beim Eintreffen des Rettungsdienstes bereits sichere Todeszeichen auf, sollte auf eine Reanimation, insbesondere einen Kliniktransport des toten Kindes unter Reanimation, im Interesse der Eltern verzichtet werden (31). Durch eine sorgfältige äußere Untersuchung des Kindes ist dann - auf Wunsch der Eltern durchaus in ihrem Beisein - der Tod festzustellen (31). Da immer wieder über extreme Temperaturerhöhungen bei den aufgefundenen Kindern berichtet wird, sollte, wenn möglich, eine rektale Temperaturmessung vorgenommen und dokumentiert werden (24).
Klare Todesmitteilung
Den Eltern sollte der Tod ihres Kindes in klaren und eindeutigen Worten mitgeteilt werden ("Ihr Baby ist tot", "IhreTochter/Ihr Sohn lebt nicht mehr", aber nicht: "Die Reanimation hat nicht angeschlagen"). Dabei sollte ruhig und langsam gesprochen werden, oft sind Wiederholungen nötig, Pausen geben Zeit zur Orientierung (14, 38). Unbedingt vermieden werden sollten Sätze, die den Tod beziehungsweise Verlust relativieren ("Sie sind noch jung, Sie können doch noch weitere Kinder haben") oder die Gefühle der Eltern beurteilen ("Ich weiß, wie es Ihnen jetzt geht"). Sprachlosigkeit und Irritation auf Seiten der Helferinnen und Helfer muss nicht verborgen, sondern kann angesprochen oder ausgedrückt werden, denn aus der Perspektive der Eltern und Geschwister gelingt es dadurch oft, eine "Brücke" zu ihnen zu schlagen.
Möglichst rasch umfassende Aufklärung
Fast alle vom Plötzlichen Säuglingstod betroffenen Eltern fühlen sich von Anfang an zutiefst verantwortlich für den Tod ihres Kindes (5, 6, 26, 40), zunächst bedingt vor allem durch die Auffindsituation, die sie annehmen läßt, ihr Kind sei erstickt, und sie hätten es retten können, wenn sie frühzeitig nach ihm gesehen hätten (29). Zu den wichtigsten Erstmaßnahmen, um späteren hartnäckigen Selbstschuldvorwürfen der Betroffenen entgegenzuwirken, gehören umfassende Informationen und Transparenz bezüglich aller Maßnahmen der Akutsituation, aber auch die Gesprächsbereitschaft der Helferinnen und Helfer. Insbesonders sollten folgende Punkte mit den Eltern besprochen werden.
Erläuterung der Angabe "Todesart ungeklärt"
Geben weder die Vorgeschichte noch die Auffindesituation oder der äußere Zustand des Kindes ausreichende Entscheidungshilfen, um die Todesursache sicher festzustellen, und kann ein Plötzlicher Säuglingstod vermutet werden, sollte als Todesart "nicht aufgeklärt" angegeben werden. In den Bundesländern, in denen diese Möglichkeit auf der Todesbescheinigung nicht vorgesehen ist, sollte die unklare Todesart handschriftlich deutlich gemacht werden.
Den Eltern gegenüber bedarf die Angabe "nicht aufgeklärt" unbedingt der Erklärung, wobei ihnen vor allem
deutlich gemacht werden sollte, daß damit weder ihnen noch den zuletzt behandelnden Ärzten und Ärztinnen
gegenüber Misstrauen ausgedrückt wird.
Erste Informationen zum SID
Zum Zweiten sollten die Eltern, wenn von einem Plötzlichen Säuglingstod auszugehen ist, möglichst rasch erste Informationen hierzu erhalten. Dabei ist es ausgesprochen wichtig zu sagen, dass dieser Tod weder für Eltern noch für Ärzte oder andere Experten vorhersehbar ist. Betont werden sollte aber auch, dass die Diagnose Plötzlicher Säuglingstod gesichert nur durch eine Obduktion zu stellen ist. Ideal ist es, wenn bereits in der Akutsituation Informationsmaterial zur Verfügung steht und den Eltern ausgehändigt wird oder - realistischer - wenn eine entsprechende Ansprechadresse weitergegeben werden kann (11).
Transparenz bei den polizeilichen Ermittlungen
Ein dritter wesentlicher Punkt ist das Vorbereiten der Eltern auf das Eintreffen der Polizei. Sie müssen wissen, dass der Arzt oder die Ärztin in den meisten Bundesländern bei jedem Tod aus nicht geklärter Ursache die zuständige Polizeidienststelle benachrichtigen muss. Ihnen muss erklärt werden, dass dem Tod ihres Kindes zwangsläufig eine behördliche Untersuchung folgt, weil der Plötzliche Säuglingstod formal als nicht aufgeklärter Todesfall gilt und für diesen Tod keine Ursachen anzugeben sind. Besonders günstig ist es, wenn der Notarzt/die Notärztin nicht nur bis zum Eintreffen der Polizei, sondern auch während der polizeilichen Ermittlungen bei der Familie bleiben kann (19).
Erläuterung des weiteren formalen Ablaufs
Schließlich sollten die Eltern darüber aufgeklärt werden, dass die Ergebnisse der polizeilichen Ermittlungen unverzüglich der Staatsanwaltschaft zugeleitet werden, die daraufhin - zumeist innerhalb eines Tages - entscheidet, ob eine Obduktion (gerichtliche Obduktion in einem rechtsmedizinischen Institut) durchgeführt werden soll oder nicht. Wird von der Staatsanwaltschaft keine Obduktion angeordnet oder werden keine polizeilichen Ermittlungen eingeleitet, sollte mit den Eltern darüber gesprochen werden, dass sie die Möglichkeit haben, in einem rechtsmedizinischen oder pathologischen Institut von sich aus eine freiwilige Obduktion in Auftrag zu geben.
Gespräch über eine Obduktion
Jede Obduktion, ob gerichtlich angeordnet oder freiwillig, dient nicht nur der Diagnose und, wenn es sich um einen SID handelt, der Datengewinnung zur Klärung des Phänomens Plötzlicher Säuglingstod. Sie kann darüber hinaus - trotz starker gefühlsmäßiger Belastung - für die betroffene Familie langfristig auch eine Hilfe sein (1, 29). Denn für Eltern, deren Kind plötzlich und unerwartet gestorben ist, erhalten (später) die Frage nach der Todesursache, das Suchen nach glaubwürdigen Erklärungen und einer Entlastung von Schuldgefühlen, aber auch die Frage nach genetischen Dispositionen und danach, ob nachgeborene Kinder auch vom Tod bedroht sind, zentrale Bedeutung. Durch die Befunde der Obduktion können ihnen einige wesentliche Fragen beantwortet werden und kann ein Teil ihrer Zweifel und Selbstschuldvorwürfe gemindert werden (30). Deshalb sollte in der Akutsituation versucht werden, den Eltern die langfristig entlastende Seite einer Obduktion deutlich zu machen.
Hilfe bei Klärung organisatorischer Fragen
Wird eine Obduktion staatsanwaltschaftlich angeordnet, müssen die Eltern darüber zwar informiert werden; die Obduktion kann aber ohne ihre Zustimmung durchgeführt werden. Für viele Eltern ist es wichtig, bereits in dieser Situation zu erfahren, dass alle Kosten einer gerichtlichen Obduktion, einschließlich Überführung, von staatlicher Seite getragen werden. Nicht unwesentlich ist auch die Information, dass die Ergebnisse und insbesondere die Obduktionsunterlagen bei einer gerichtlichen Obduktion zwar nur dann aus den rechtsmedizinischen Instituten an Dritte, und damit auch an die betroffene Familie und die behandelnden Ärztinnen und Ärzte, weitergegeben werden dürfen, wenn die Einwilligung der Staatsanwaltschaft eingeholt worden ist, dass diese jedoch im Allgemeinen problemlos erteilt wird.
Hinweise bei freiwilliger Obduktion
Können sich die Eltern für eine freiwillige Obduktion entscheiden, (beim Obduktionsauftrag gilt ein mündlicher Vertrag), ist ihnen zu raten, vorab die Kostenfrage zu klären, denn sowohl in der Rechtsmedizin als auch in der Pathologie werden Gebühren in unterschiedlicher Höhe erhoben. Auch die Transportkosten für das tote Kind bis zur nächsten Rechtsmedizin oder Pathologie sind bei freiwilliger Obduktion in der Regel von den Eltern zu tragen. Außerdem sollte noch vor Obduktionsbeginn vereinbart werden, ob generell, in mündlicher oder schriftlicher Form und in welchem Umfang den Eltern, den behandelnden Ärztinnen und Ärzten die Befunde der Obduktion mitgeteilt werden sollen.
Persönliche Ansprechpartner erkunden
Schließlich ist es eine ganz wichtige Hilfe, wenn die Betreuenden in der Akutsituation für die Eltern in Erfahrung bringen können, in welcher Institution ihr Kind obduziert werden kann und wer die Obduktion durchführt und somit für sie Ansprechpartner/in sein wird. Denn selbstverständlich kann die Obduktion für die Betroffenen nur dann hilfreich sein, wenn ihnen die Befunde in ausführlichen Gesprächen mitgeteilt und erklärt werden. Die Betroffenen sollten als erstes ausgiebig mit der Ärztin oder dem Arzt in der Pathologie oder Rechtsmedizin, die/ der ihr Kind untersucht hat, sprechen können, weil deren/dessen authentische Auskunft für sie in der Regel am glaubwürdigsten ist (30).
Abschied vom toten Kind
Die meisten Eltern haben in der Akutsituation das starke Bedürfnis, bei ihrem Kind zu sein oder es wieder in den Arm zu nehmen. Sie brauchen Zeit, den Tod ihres Kindes zu begreifen. Gleichzeitig fürchten sich viele vor dem Kontakt zu ihrem toten Kind, leiden aber später sehr darunter, keinen Abschied genommen zu haben (12, 29). Auch weil das Abschiednehmen eine wesentliche Voraussetzung für einen günstigen Verlauf der Trauerbewältigung ist, sollten die Eltern hierzu ermutigt werden (31). Wichtig ist dabei, die Spuren der Reanimation zu beseitigen, die Eltern und die hinterbliebenen Geschwister jeden Alters einzubeziehen und vor allem, ihnen genügend Zeit zu geben. Sie müssen, wenn möglich noch zu Hause oder in der Klinik, wahrnehmen können, dass alle vertrauten Reaktionen ihres Kindes ausbleiben und es nicht mehr mit ihnen kommuniziert (8). Das kann einige Minuten, eine halbe Stunde oder auch länger dauern. Günstig ist es, die Betroffenen vorab zu fragen, ob sie mit ihrem Kind allein im Raum sein möchten oder ob sie eine Begleitung wünschen (8). Eventuell muß dieses Vorgehen mit den eingesetzten Polizeibeamten abgesprochen werden; hierbei gibt es erfahrungsgemäß keine Probleme. Auf beruhigende Medikamente ist unbedingt zu verzichten, denn das gesamte Einsatzgeschehen, vor allem aber das Abschiednehmen muß, um einen günstigen späteren Trauerverlauf zu gewährleisten, uneingeschränkt wahrgenommen werden können (21).
Beratung zum Abstillen
Bei einigen Frauen, die gestillt haben, versiegt die Milchproduktion als Schockreaktion auf den Tod ihres Kindes. Ist das nicht der Fall, sollte der betroffenen Mutter geraten werden, umgehend Kontakt zu ihrem Frauenarzt oder ihrer Frauenärztin aufzunehmen, damit das Abstillen medikamentös herbeigeführt werden kann. Die sich anschließenden Kontrolltermine geben dem Frauenarzt/der Frauenärztin Gelegenheit, auf die damit verbundenen seelischen Probleme beratend und unterstützend einzugehen.
Aufmerksamkeit für die Geschwister
Für die hinterbliebenen Geschwister erweist sich der plötzliche und unerwartete Tod eines Säuglings als extrem schwierig zu bewältigen, denn er ist für sie in mehrfacher Hinsicht belastend. Sie spüren nicht nur - je nach Alter unterschiedlich (3) - die eigene Trauer, sondern auch die Traueratmosphäre und emotionale Krise der Familie. Beschrieben werden Einsamkeitsgefühle und damit verbunden Angst und Irritation (4, 32). Schließlich kann die Geschwistertrauer von massiven Schuldgefühlen begleitet sein, weil die natürlichen aversiven Gefühle gegen das Geschwisterkind mit dessen Tod in Verbindung gebracht werden (9). Um somatischen Störungen und Verhaltensauffälligkeiten vorzubeugen, die nicht selten bei hinterbliebenen Geschwistern beobachtet wurden (17), empfiehlt es sich, ihnen bereits in der Akutsituation besondere Aufmerksamkeit zu schenken und sie keinesfalls auszugrenzen. Sinnvoll ist es auch, die Eltern zu fragen, ob sie Hilfe bei der Betreuung ihrer hinterbliebenen Kinder benötigen, und mit ihnen gemeinsam zu überlegen, wer hierfür in Frage käme. Im übrigen ist es ausgesprochen wichtig, den betroffenen Eltern zu versichern, dass ältere Kinder nicht SID-gefährdet sind. Ist ein Zwillingskind gestorben, sollte das überlebende Kind sorgfältig klinisch untersucht werden. Es gibt zwar Einzelberichte über Zwillinge, die beide in derselben Nacht gestorben sind (2), insgesamt ist das Risiko für überlebende Zwillingskinder mit weniger als ein Prozent jedoch nicht höher als für nachgeborene Geschwister allgemein (2). Der in der Vergangenheit oft gegebene Rat, das überlebende Zwillingskind stationär aufzunehmen, erscheint daher nicht generell gerechtfertigt. Nur bei Vorliegen klinischer Symptome, die mit einem erhöhten Säuglingstod-Risiko einhergehen können (vor allem Infektzeichen), sollte die Indikationsstellung zur Klinikeinweisung eher großzügig erfolgen.
Weiterführende Hilfe: Kontaktvermittlungen
Zu den problematischen Auswirkungen, die der Plötzliche Säuglingstod langfristig hat, gehört die soziale Isolation der betroffenen Familie (22, 23, 33, 35, 37). Es ist anzunehmen, daß es vor allem die Sprachlosigkeit und Unsicherheit angesichts des tragischen Ereignisses ist, die viele Außenstehende mit Rückzug reagieren lässt. Aber auch der Polizeieinsatz beim plötzlichen und unerwarteten Tod eines Säuglings kann, selbst wenn die Beamten der Familie mit hoher Sensibilität begegnen (19), Anlaß zu Misstrauen geben oder sogar zur Diskriminierung der betroffenen Familie führen (6, 13).
Wichtige präventiv wirkende Maßnahmen, die bereits in der Akutsituation eingeleitet werden sollten, sind
neben umfassender Aufklärung zum Plötzlichen Säuglingstod und zum Polizeieinsatz verschiedene Formen des
Kontaktaufbaus. So sollte der Familie auf jeden Fall angeboten werden, Verwandte, Freunde oder auch
Nachbarn anzurufen, damit sie nach dem Notfalleinsatz nicht allein zurückbleiben müssen. Weiterhin kann die
Kontaktvermittlung zu einem Geistlichen vorgeschlagen werden. Schließlich ist es ausgesprochen wichtig, auf
die organisierte Elternselbsthilfe hinzuweisen (34). Wenn möglich, sollte die Adresse/Telefonnummer von
regionalen oder bundesweiten Organisationen weitergegeben werden, in denen sich Eltern, die vom Tod eines
Kindes betroffen sind, zusammengeschlossen haben ("GEPS", "Verwaiste Eltern" "Regenbogen-Initiative" und
andere).
Um Vorurteilen sogleich entgegenzuwirken, kann der Familie auch angeboten werden, mit Aussenstehenden
über den Plötzlichen Säuglingstod zu sprechen und mögliche Fragen zu beantworten. Je früher in der näheren
und auch weiteren Umgebung der Familie sachlich und kompetent über den Plötzlichen Säuglingstod
informiert und gesprochen wird, desto eher lassen sich spätere Missverständnisse und Vorurteile vermeiden.
Zitierweise dieses Beitrags:
Dt Ärztebl 1997; 94: A-519-522
[Heft 9]
Kommentare 1
H.Wittmann Autor
Forscher finden Ursache für Plötzlichen Kindstod
Im Jahr 2020 starben in Deutschland 84 Babys am sogenannten Sudden Infant Death Syndrome (SIDS), zu Deutsch: Plötzlicher Kindstod. Gesunde Kinder sterben im Schlaf. Bislang gab es dafür keine Erklärung. Nun haben australische Forscher offenbar den Mechanismus dahinter entschlüsselt. Ihre Studie wurde im Fachmagazin "The Lancet" veröffentlicht.
Untersucht wurden getrocknete Blutproben von 67 Babys, die im Alter von einer Woche bis zu zwei Jahren am Plötzlichen Kindstod verstarben. Die Forscher verglichen sie mit denen anderer Kinder. Das Ergebnis: Bei den verstorbenen Babys war die Aktivität eines bestimmten Enzyms signifikant niedriger als bei gesunden Kindern oder solchen, die an anderen Ursachen gestorben waren. Auch das Baby der Studienleiterin starb.
Das Enzym mit dem Namen Butyrylcholinesterase (BChE) ist vor allem für die Kommunikation im Gehirn wichtig. Eine zu geringe Aktivität könnte dazu führen, dass das Kind nicht aufwacht, wenn im Schlaf die Atmung aussetzt. Das würde auch erklären, warum der Plötzliche Kindstod im Schlaf auftritt.
Die Leiterin der Studie, Dr. Carmel Therese Harrington vom Kinderkrankenhaus Westmead in Sydney, verbindet eine besondere Geschichte mit ihrer Forschung. Vor 30 Jahren verlor sie ihren Sohn an die Krankheit. Damals arbeitete sie noch als Anwältin. Als einige Jahre später auch das Kind einer Freundin dem Plötzlichen Kindstod zum Opfer fiel, beschloss sie, sich der Forschung zu diesem Thema zu widmen. So beschreibt Harrington es in ihrem Crowdfunding-Aufruf.
Die Erkenntnisse der Biochemikerin und ihres Teams sollen nun künftig Babys vor dem Plötzlichen Kindstod schützen. So könnten in Zukunft Säuglinge identifiziert werden, deren Risiko erhöht ist. Dazu könnte das Enzym BChE als Biomarker genutzt werden und eine Art Screening-Test entwickelt werden. So könnten Risikobabys besser geschützt werden. Eine wichtige Botschaft hat Harrington an die Eltern, die ihr Kind an den Plötzlichen Kindstod verloren haben: "Sie wissen nun, dass es nicht ihre Schuld war." Quellen: Studie in "The Lancet", T-Online 17.05.22