Wegweisendes Urteil zur Sterbehilfe

    • Offizieller Beitrag

    Assistierter Suizid als Option? Dazu gibt es seit heute eine Grundsatzentscheidung. Das Bundesverfassungsgericht hat sein Urteil zur Sterbehilfe verkündet – präzise ausgedrückt: zur "geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung". Die war Ende 2015 nach langen Debatten im Bundestag unter Strafe gestellt worden. "Geschäftsmäßig" meint hier nicht "kommerziell", sondern eine "auf Wiederholung angelegte Handlung“.


    Vereinen, Organisationen und Ärzten drohten bislang Freiheitsstrafen von bis zu drei Jahren oder Geldstrafen, wenn ihre Suizidhilfe auf Wiederholung angelegt ist. Bedeutet somit das Recht auf Selbstbestimmung über das eigene Leben auch das Recht auf eine autonome Entscheidung über das Sterben? Das heutige Urteil besagt , dass sich der Staat nicht in das Recht auf selbstbestimmtes Sterben einmischen darf. Und das beinhalte auch die Freiheit, sich das Leben zu nehmen und dabei Angebote von Dritten in Anspruch zu nehmen, so das Karlsruher Gericht. Es geht somit um die letzte Freiheit, die ein Mensch vor seinem Tod hat. Der 2015 beschlossene und seitdem heftig umstrittene Strafrechtsparagraf 217 ist also nicht mit dem Grundgesetz vereinbar.


    Kritik kommt von der Deutschen Palliativ-Stiftung: Die Erleichterung der Selbsttötung für Kranke und Lebensmüde werde damit "zur normalen Dienstleistung". Auch die Kirchen kritisieren die Entscheidung als "Einschnitt in unsere auf Bejahung und Förderung des Lebens ausgerichtete Kultur". Wichtiger sei stattdessen eine "deutliche Verbesserung der palliativen und hospizlichen Versorgung."


    Die Kehrseite der Medaille: Missbrauch ist nie auszuschließen. Fragen bleiben: Wie lässt sich verhindern, dass unentschlossene Sterbewillige von professionellen Sterbehelfern zusätzlich zu einem Suizid motiviert werden? Welche Rolle darf der Profit beim assistierten Freitod spielen? Wie soll mit Menschen mit Demenz oder psychischen Erkrankungen umgegangen werden? Und wie lässt sich sicherstellen, dass Lebensmüde zuerst professionelle Lebenshilfe erhalten, bevor die Suizid-Option in den Vordergrund rückt?


    Am Ende sollte und muss aber jedes Argument gegen die Suizidhilfe auch Artikel 1 unseres Grundgesetzes standhalten. Und das bedeutet: Wenn die Würde des Menschen unantastbar ist, darf auch einem Sterbenden nicht die Würde genommen werden.

    • Offizieller Beitrag

    Der Vatikan hat seine Ablehnung von Sterbehilfe und Beihilfe zum Suizid bekräftigt und will Betroffenen künftig die Sterbesakramente verweigern. Dies geht aus einem am Dienstag, 22.09.2020 veröffentlichten Brief der Glaubenskongregation zu Maßnahmen zum Ende des Lebens hervor, den Papst Franziskus abgesegnet hat. In dem Schreiben heißt es, Patienten, die durch Sterbehilfe oder assistierten Suizid sterben wollten, sollten zukünftig nicht mehr die Sakramente Sterbekommunion, Salbung und Beichte gewährt werden.


    Jeder, der sich "für diesen schweren unmoralischen Akt" entschieden habe und an der Entscheidung festhalte, könne die Sakramente nicht erhalten, heißt in den Richtlinien der katholischen Kirche. Ausnahmen könne es geben, wenn ein Priester überzeugt sei, dass die sterbende Person ihre Meinung geändert habe. Auch wenn der Patient bewusstlos sei und man Reue annehmen könne, dürfe er die Sakramente erhalten.


    Euthanasie sei ein "Verbrechen gegen das menschliche Leben", ein "in sich böser Akt, in jeder Situation und unter allen Umständen", heißt es. Der Vatikan interpretiert den Wunsch von Schwerkranken nach dem Tod nicht als Bitte um Sterbehilfe, sondern als "schmerzgeplagten Ruf nach Liebe und Hilfe". Ein Kranker habe "im letzten Lebensstadium Anspruch darauf, dass man ihm hilft, ihn umsorgt, ihn liebt". Es sei aber legitim, "auf Heilversuche zu verzichten, die nur eine schwache und schmerzhafte Verlängerung des Lebens bewirken könnten". Quelle: (dpa)

    • Offizieller Beitrag

    Der Bundestag entscheidet heute über den rechtlichen Rahmen der Sterbehilfe. Die Gesetzentwürfe kurz erklärt:


    Im Jahr 2020 entschied das Bundesverfassungsgericht, das Recht auf selbstbestimmtes Sterben schließe die Freiheit ein, sich das Leben nehmen zu dürfen. Auch beinhalte es die Freiheit, "hierfür die Dritten Hilfe zu suchen und Hilfe, soweit sie angeboten wird, in Anspruch zu nehmen". Seit dieser Entscheidung ist die Sterbehilfe straffrei – einen gesetzlichen Rahmen dafür gibt es allerdings nicht.

    Was beinhaltet der erste Gesetzentwurf?

    Im Grundsatz hält er an einer Strafbarkeit der "geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung" fest. Verstöße sollen mit Haft- oder Geldstrafen geahndet werden können. Nicht rechtswidrig soll die geschäftsmäßige Suizidbeihilfe dann sein, wenn der suizidwillige Mensch "volljährig und einsichtsfähig" ist, sich mindestens zweimal von einem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie oder einem Psychotherapeuten hat untersuchen lassen und bei ihnen mindestens ein ergebnisoffenes Beratungsgespräch absolviert hat. Zwischen den beiden Untersuchungsterminen sollen mindestens drei Monate liegen. Nach der abschließenden Untersuchung soll dann noch eine "Wartefrist" zur Selbsttötung mit entsprechenden Medikamenten liegen. Bei Menschen mit besonders hohem Leidensdruck soll ein Untersuchungstermin reichen.

    Worum geht es im zweiten Gesetzentwurf?

    Der Entwurf will die Sterbehilfe grundsätzlich aus dem Strafrecht herausnehmen. Individuelle Motive für den Sterbewunsch will der Gesetzentwurf nicht bewerten, sondern lediglich "Leitplanken" für den Weg eines erwachsenen und einsichtsfähigen Menschen zur Selbsttötung aufstellen. Auch diese "Leitplanken" sehen Vorgaben zu Beratung und Wartezeiten vor. Voraussetzung für die Verschreibung von Medikamenten zur Selbsttötung soll in der Regel eine Beratung bei einer fachlich qualifizierten Stelle sein, in der auch Alternativen zur Selbsttötung angesprochen werden. Die Verschreibung soll dann frühestens drei Wochen nach der Beratung – und maximal zwölf Wochen danach – möglich sein. In Härtefällen soll ein Arzt die Mittel nach eigenem Ermessen auch ohne Beratung verschreiben können. Ein solcher Härtefall soll dann vorliegen, wenn sich jemand "in einem existenziellen Leidenszustand mit anhaltenden Symptomen", befindet. Das kann zum Beispiel der Fall sein, wenn eine Person nach einem Unfall querschnittsgelähmt ist, aber trotzdem an Schmerzen und Krämpfen leidet.

    Die Abstimmung im Bundestag

    Die Entscheidung des Bundestags am Donnerstag über verschiedene Vorschläge zur Regelung der Suizidbeihilfe unterscheidet sich in mehreren Punkten von den sonst üblichen Abstimmungen im Parlament. Das fängt schon bei den beiden vorgelegten Gesetzentwürfen an: Hier handelt es sich um Vorschläge, hinter denen jeweils Abgeordnete aus allen Fraktionen außer der AfD stehen.


    Dementsprechend werden die Abgeordneten nicht entlang der Fraktionszugehörigkeit sondern namentlich abstimmen. Dies kommt im Bundestag selten vor und ist vor allem bei medizinethischen Themen üblich. Beispielsweise wurde bei Regelungen zur Organspende und zur Präimplantationsdiagnostik der sogenannte "Fraktionszwang" aufgehoben.


    Zuerst wird der erste Gestzentwurf aufgerufen, weil dieser die weitestgehenden Regelungen vorschlägt. Er wird bisher von 111 Parlamentariern unterstützt. Bekommt der Entwurf die nötige Mehrheit, also mehr Ja- als Nein-Stimmen, wird der zweite Vorschlag nicht mehr zur Wahl gestellt.


    Verfehlt der erste Entwurf die Mehrheit, kommt der zweite Gesetzentwurf an die Reihe. Diese Vorlage hat 166 Unterstützerinnen und Unterstützer, auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) befürwortet sie. Verfehlt auch dieser Entwurf die nötige Mehrheit, gibt es vorerst keine neue Regelung zur Suizidbeihilfe.

    Kritik an den Gesetzentwürfen zur Sterbehilfe

    Ärztevertreter und Fachverbände warnen vor einer zu weit gehenden Liberalisierung der Sterbehilfe. Der Psychiatrie-Fachverband DGPPN fordert eine bessere Suizidprävention statt leichterer Sterbehilfe – denn häufig seien suizidale Menschen aufgrund einer schweren psychischen Erkrankung überhaupt nicht in der Lage, "diese Entscheidung frei und selbstbestimmt zu treffen". Nach Angaben aus den Koalitionsfraktionen soll nun am Donnerstag tatsächlich auch über einen Antrag zur verbesserten Suizidprävention abgestimmt werden.


    Auch die katholische Kirche lehnt jede Form der aktiven Sterbehilfe ab. In einer Pressemitteilung kritisierte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, der assistierte Suizid könne sich als "selbstverständliche Form der Lebensbeendigung" durchsetzen. Dieser Tendenz müsse die Neuregelung entgegenwirken.

    UPDATE:

    Das Gesetz scheiterte im Bundestag. Eine Einigung konnte nicht erzielt werden. Die Bundestagsabgeordneten ließen die zur Abstimmung stehenden Gesetzesvorlagen durchfallen. Patienten, Ärzte und Pflegekräfte bleiben weiterhin in einer Grauzone.